15.10.2018 -
Die waghalsige Haushaltspolitik der italienischen Regierung befeuert Ängste vor einer neuen Euro-Schuldenkrise. Wie nachhaltig ist unsere Währung? Übersteht sie die nächsten Krisen?
Das aktuelle Gezerre um den italienischen Staatshaushalt verdeutlicht, dass eine Währungsunion ohne einheitliche Fiskalpolitik an ihre Grenzen stößt, wenn die Haushaltsdefizite und Schuldenquoten zu stark auseinanderlaufen.
Warum ist das so? Zum einen nimmt der externe Druck auf ein Land, das die vereinbarten Stabilitätskriterien nicht einhält, zu. Zum anderen steigt der interne Druck der Bevölkerung. Denn die sieht sich dem Diktat externer Kräfte ausgesetzt. Hiervon profitieren Populisten an den Rändern des politischen Spektrums, die den Bürgern Versprechungen machen, die ein Land ohne eigene Währung nicht einhalten kann.
So nehmen die Zentrifugalkräfte innerhalb der Währungsunion zu. Ohne die Unterstützung der Notenbank droht ein Vertrauensverlust am Kapitalmarkt, der die Renditen von Staatsanleihen auf ein nicht mehr tragbares Niveau steigen lassen würde. In Italien ist dieses Niveau nicht mehr weit entfernt. Mario Draghi könnte im letzten Jahr seiner Amtszeit zur tragischen Figur werden, als Retter und Zerstörer zugleich. Er konnte mit seiner Politik den Euro nicht nachhaltig sanieren; er kaufte den Politikern lediglich Zeit zur Konsolidierung, die diese aber nicht genutzt haben.
Wie lange der Euro dem inneren wie äußeren Druck noch standhalten kann, vermag niemand zu prognostizieren. Was Währungsprojekte aber anfällig macht, zeigt ein Blick in die Geschichte: Die 1865 gegründete Lateinische Münzunion, der als Vertragsmitglieder Frankreich, Italien, Belgien, die Schweiz und später Griechenland und Belgisch-Kongo angehörten, hielt faktisch immerhin bis 1914 und wurde formal erst 1926 aufgelöst. Die Staaten prägten eigene Münzen, die von den anderen Staaten akzeptiert wurden. Allerdings druckten einzelne Länder dann aber auch Papiergeld, das auf Währungen der Münzunion lautete. Dies führte dort zu Inflation und trug zur faktischen Auflösung der Münzunion bei.
Auch die Eurozone hat in ihrer aktuellen Struktur ein Nachhaltigkeitsproblem. Die Entwicklung von Wirtschaft, Finanzen und Inflation in den einzelnen Mitgliedsländern weicht zu stark voneinander ab, was sich nicht zuletzt an der Verschuldung ablesen lässt. Sollte sich diese Divergenz nicht über den Wechselkurs entladen können, kommt es zu Spannungen innerhalb der Währungsgemeinschaft.
Die EZB kann die daraus resultierenden Zentrifugalkräfte eine Weile im Zaum halten, muss dazu aber mehr und mehr die Rolle des Staatsfinanzierers übernehmen, was sie eigentlich nicht darf. Der Euro ist ein politisches Projekt, und die politischen Beharrungskräfte sind groß, wie die vergangenen Jahre eindrucksvoll bewiesen haben. Letztlich obsiegen aber immer die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, denn diese sind nachhaltiger als der bloße Wille. Die Politik kann Probleme nur solange ignorieren, bis die Probleme die Politik ignorieren.
Der Bondmarkt, hinter dem Millionen von Anlegern stehen, ist das wohl wirkungsvollste Korrektiv einer nicht nachhaltigen Politik. Hier wird das Zinsniveau ermittelt, zu dem sich ein Land Geld leihen kann. Für Länder, deren Währungen an Akzeptanz verlieren, wird der Bondmarkt zur Schicksalsmacht, weil er den Preis für Kredite in fremder Währung – zumeist US-Dollar – definiert. Wer das Vertrauen der Anleger am Bondmarkt verliert, verliert auch den Zugang zu Kapital. Nach Argentinien und Venezuela hat zuletzt auch die Türkei erfahren müssen, welcher Druck vom Bondmarkt beziehungsweise von steigenden Zinsen ausgehen kann.
Auch Länder einer Währungsunion bleiben hiervon nicht verschont, vor allem dann, wenn der Schutz der Währungsfamilie beziehungsweise des um Einheit bestrebten Familienoberhaupts nachlässt. Das Oberhaupt des Euro ist der EZB-Präsident. Seit Jahren ermahnt er seine Familienmitglieder zu Strukturreformen und greift ihnen gleichzeitig unter die Arme, indem er ihre Bonds kauft und das Zinsniveau niedrig hält.
Sollte die EZB ihren familiären Beistand tatsächlich bald aufgeben, würde der Bondmarkt seine Funktion als Korrektiv wieder übernehmen. Die Konsequenz wäre ein deutlicher Anstieg der Renditen italienischer Staatsanleihen, die Italien dazu zwingen könnten, aus dem Euro auszutreten oder das Vertrauen der Kapitalmärkte durch Reformen und eine solidere Haushaltspolitik zurückzugewinnen.
Ein solches Szenario ließe sich ultimativ nur noch durch eine Haftungsunion beziehungsweise die Einführung von Eurobonds vermeiden. Doch auch damit wäre das Nachhaltigkeitsproblem des Euro nicht gelöst, sondern nur verschoben, ganz abgesehen von dem zu erwartenden Konfliktpotential der Länder untereinander. Es ist aus unserer Sicht deshalb sehr unwahrscheinlich, dass der Euro in seiner heutigen Form die Lebensdauer der Lateinischen Münzunion von 49 Jahren erreichen wird.
Zu den weiteren Teilen der Serie zur Nachhaltigkeit finden Sie hier: