27.10.2017 -
Die Europäische Zentralbank reduziert das Volumen ihrer Anleihekäufe. Warum das alles andere ist als eine Abkehr von der lockeren Geldpolitik – und die Zinsen noch lange niedrig bleiben.
Wenn Notenbanker zur Pressekonferenz einladen, ist die Spannung groß. Ihre Entscheidungen können die Finanzmärkte bewegen – wie die vergangene Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) eindrucksvoll gezeigt hat: Im Vergleich zum US-Dollar verlor der Euro bis zum Ende der Woche mehr als zwei Cent. Die europäischen Aktienmärkte legten kräftig zu. Und das, obwohl es auf den ersten Blick so scheint, als würde die EZB zukünftig eine restriktivere Geldpolitik verfolgen.
Kurz zusammengefasst lautet das Ergebnis der „gründlichen Beurteilung“ des „geldpolitischen Kurses“ durch die EZB aber: Die Zinsen bleiben bei null Prozent (und darunter). Die „geldpolitischen Sondermaßnahmen“, wie die Währungshüter ihr milliardenschweres Kaufprogramm für Anleihen und Schuldtitel nennen, werden mindestens bis zum September 2018 fortgesetzt. Das Kaufvolumen sinkt aber, von derzeit 60 Milliarden Euro auf 30 Milliarden Euro.
Wer deshalb aber meint, die EZB leite eine Trendwende in ihrer Geldpolitik ein, dürfte wohl falsch liegen. Die Reduktion der Anleihekäufe ermöglicht der EZB zunächst einmal eine weitere zeitliche Streckung des Programms der „quantitativen Lockerung“. Die Ausdehnung der Mindestlaufzeit des Anleihekaufprogramms bedeutet: Bis September werden Anleihen im Volumen von 270 Milliarden Euro gekauft. Die Verlängerung des Kaufprogramms lässt sich auch als eine implizite Nullzinsgarantie bis ins Jahr 2019 hinein deuten.
Die Relationen geraten leicht aus dem Blick, wenn von einer Straffung und Normalisierung der Geldpolitik oder gar von einem baldigen Ende der geldpolitischen Sondermaßnahmen die Rede ist. Unseres Erachtens sind solche Aussagen schlicht irreführend. Die EZB hat heute eine Bilanzsumme von 4.360 Milliarden Euro. Bis zum September 2018 wird sie auf einen Umfang von 4.750 Milliarden Euro steigen. Das sind 43 Prozent des aktuellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Eurozone. EZB-Präsident Mario Draghi hat also zunächst einmal beschlossen, „weiter wie bisher“ zu machen.
Die Begründung für die expansive Geldpolitik dürfte Draghi unterdessen immer schwerer fallen. Immerhin ist die Wirtschaft in der Eurozone zuletzt um 2,3 Prozent gewachsen, und die Konsumentenpreise sind um 1,5 Prozent gestiegen. Der EZB-Präsident betonte hingegen, wie hoch die Hürde sei, um von der unkonventionellen Geldpolitik abzurücken: In jedem Fall müsse der Rat der EZB eine „Anpassung des Inflationspfades“ sehen, der sich in Richtung des geldpolitischen Ziels bewege (worunter eigentlich Preissteigerungen „unter, aber nahe zwei Prozent“ verstanden werden). Zudem müsse diese Entwicklung als nachhaltig empfunden werden. Das erscheint sehr weit hergeholt, liegt aber im Mandat der EZB begründet. Denn die EZB kann sich nicht einfach für die Angleichung der Volkswirtschaften der Eurozone einsetzen. Oder ausufernde Staatsschulden durch niedrige Refinanzierungskosten bezahlbar machen. Sie darf sich auch nicht für eine Abwertung des Euro einsetzen, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Der Auftrag der EZB lautet schlicht und einfach Preisstabilität.
Tatsächlich verfolgen die Notenbanker aber eine Vielzahl von Zielen, weswegen die teils akrobatischen Wortschöpfungen und Erklärungsversuche kaum überraschen. Bei der Oktober-Sitzung legte die EZB etwa besonderen Wert darauf, die in die Zukunft gerichteten Aussagen zu betonen:
1. Reinvestitionen fällig werdender Anleihen werden auch „für eine längere Zeitperiode“ nach dem Auslaufen der Kaufprogramme und „so lange wie notwendig“ fortgesetzt.
2. Ebenfalls „so lange wie notwendig“, aber mindestens bis Ende 2019, können sich Banken in unbegrenzter Höhe bei der EZB refinanzieren.
Die Hervorhebung dieser beiden geldpolitischen Instrumente zeigt, wie sehr die EZB bemüht ist, die unvermeidlichen Anpassungen der Anleihekaufprogramme (weil ihr langsam die Wertpapiere ausgehen), als Notwendigkeit erscheinen zu lassen. Die Reinvestitionen und die Vollzuteilung an die Banken sind nichts Neues – die EZB möchte aber mit der Betonung der Langfristigkeit eine klare Botschaft senden. Und die lautet: Die Geldpolitik wird noch sehr lange sehr locker bleiben.