09.03.2021 -
Die Zahl der Aktionäre in Deutschland steigt deutlich, insbesondere bei jüngeren Anlegern – das ist gut so! Aber sind deren Motive die richtigen?
Das Thema „Aktienkultur“ ist ein leidiges in Europa, allen voran in Deutschland. Anders als in den USA oder Großbritannien gibt es keine, jedenfalls keine, die den Namen verdienen würde. Weil die Perspektive auf Aktien hierzulande eine andere ist, zumindest lange Zeit war; weil Aktien in der Wahrnehmung vieler Menschen mehr Lottoschein sind als Geldanlage – ein Glücksspiel. Der Aktionär als Glücksritter, spätestens seit der Jahrtausendwende, dem Zusammenbruch des Neuen Marktes, hat er dieses Etikett anheften.
Deshalb besser Finger weg von Aktien. Sparbuch, Tages- oder Festgeldkonto wirkten viele Jahre als die bessere, weil weit seriösere Variante. Niemand wollte in den vergangenen Jahren so recht Aktionär sein …
Bis Covid-19 kam. Inmitten einer Pandemie ordern die Deutschen plötzlich Aktien, als sei es das selbstverständlichste auf der Welt. Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts (DAI) stieg 2020 die Zahl der Aktionäre insgesamt um 28 Prozent, von 9,7 auf 12,4 Millionen. So viele Neuaktionäre hat es seit 20 Jahren nicht mehr gegeben. In der Altersgruppe der 14-29jährigen betrug der Zuwachs sogar 67 Prozent! Bei den über 60jährigen waren es immerhin 13 Prozent mehr.
Über diese Entwicklung freuen wir uns sehr! Seit Jahren werben wir angesichts des Zinsniveaus in unseren Vorträgen bei Anlegern dafür, einen Teil des Ersparten in Sachwerten anzulegen, allen voran in Aktien sehr guter Unternehmen. Denn wer sein Vermögen langfristig erhalten möchte, wird unseres Erachtens nicht um Aktien herumkommen.
Dennoch drängt sich die Frage nach den Motiven der Neu-Aktionäre auf: Ist es wirklich der Nullzins und die Erkenntnis, dass sich daran sobald nichts ändern wird – und Aktien deshalb in jedes Depot gehören? Also ein langfristiger Ansatz? Es wäre zu wünschen – und es wäre ein Segen für die Aktienkultur in Deutschland!
Oder ist’s einmal mehr der Traum vom schnellen Geld, den so viele Anleger bereits zur Jahrtausendwende geträumt hatten und umso bitterer enttäuscht wurden? Reich werden über Nacht – es klang und klingt so verlockend. Und es ist die völlig falsche Herangehensweise.
Sinnvoll Geld anlegen ist wie ein Marathon, kein Sprint. US-Investor Warren Buffett, auf den wir gerne verweisen, hat einmal gesagt, dass es am besten sei, gute Aktien zu einem vernünftigen Preis zu kaufen – und dann am besten nie wieder zu verkaufen. Dabei geht es weniger um die Aussage als vielmehr die Haltung hinter der Aussage: Aktionäre sollten nicht in Tagen, Wochen oder Monaten denken, sondern in Jahren – besser in Jahrzehnten.
Umso ernüchternder sind die Ergebnisse einer Auswertung des Finanzportals Blockbuilders.de, das sich auf Daten der World Federation of Exchanges, dem globalen Verband der Börsen, bezieht. Denen zufolge ist die durchschnittliche Haltedauer von Aktien seit 1980 um 92 Prozent gesunken – von 9,7 Jahren auf 0,8 Jahre.
Diesen Trend sollten Neu-Aktionäre tunlichst nicht fortschreiben. Sie sollten denken wie Unternehmer, nicht wie Trader. Andernfalls wäre der Aktienhype kein Segen für die Aktienkultur, sondern eher unheimlich.