04.09.2018 -
Viele Anleger sehnen sich nach der Zinswende. Doch sind steigende Zinsen überhaupt realistisch? Oder bleiben sie reines Wunschdenken? Wir haben uns verschiedene Szenarien näher angeschaut.
EZB-Präsident Mario Draghi lässt sich Zeit. Während die US-Notenbank ihre Leitzinsen in den vergangenen Jahren bereits siebenmal erhöht hat, steht in der Eurozone weiterhin die Null. Seit dem 11. Juli 2014 verlangt die Europäische Zentralbank (EZB) zudem „Strafzinsen“ auf Bankeinlagen, die zahlreiche Institute auf ihre großen Kunden umlegen. Frühestens ab Sommer nächsten Jahres sollen die Zinsen laut EZB wieder steigen dürfen. Das weckt Begehrlichkeiten. Nach einer Zinswende, hin zu Sätzen, wie wir sie vor der Finanzkrise einmal kannten.
Doch was müsste passieren, damit es so weit kommt? Ein Szenario wäre aus Sicht der Notenbanker wohl der eleganteste Ausweg aus dem Zinstief: Die Inflation und das Wirtschaftswachstum ziehen so kräftig an, dass ein höherer Zins am Kapitalmarkt und von den Notenbanken als „angemessen“ erachtet wird. Die Zinsen steigen zwar – aber längst nicht so schnell wie die Inflation. Ein solches Szenario erscheint uns auf lange Sicht nicht unrealistisch, auch wenn die Inflationsdaten bislang keinen zwingenden Anlass für diese „Zinswende light“ geben. Die Schuldenberge klammer europäischer Staaten blieben finanzierbar. Kreditausfälle im großen Maßstab sind wohl eher nicht zu befürchten, und auch die Preise für Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien klettern weiter.
Für den Sparer ist dieses Szenario allerdings kein Ausweg. Real, also nach Abzug der Preissteigerungen, verliert ihr Vermögen weiterhin an Wert. Dieses Szenario ließe sich unseres Erachtens wohl auch nicht bis in alle Ewigkeit fortsetzen. Eine andauernde Entwertung des Geldvermögens steigert die Attraktivität von Alternativanlagen wie etwa Aktien, Gold oder Immobilien. Auf lange Sicht könnte es in diesem Szenario zu Preisübertreibungen kommen – zu „Blasen“ an den Finanzmärkten.
Die Notenbanken könnten sich daher irgendwann gezwungen sehen, zukünftigen Finanzkrisen durch eine deutlich restriktivere Geldpolitik vorzubeugen. Das würde aber nur in einem anderen Szenario, dem einer echten Zinswende, funktionieren. Die Auswirkungen haben wir in unserer Studie durchgerechnet. Ein Anstieg der Realzinsen, also mit Nominalzinsen, die deutlich über die Inflation steigen, hätte weitreichende Konsequenzen.
Tobias Schafföner, Analyst, Flossbach von Storch AG
In unserer Studie nehmen wir an, dass die EZB ihr selbst gestecktes Inflationsziel von zwei Prozent nachhaltig erreicht. Gleichfalls steigen die Zinsen – auf das Vorfinanzkrisenniveau des Jahres 2008. Die kurzfristigen Zinsen liegen dann bei etwa vier Prozent – gemessen am Leitzins der EZB.
Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen: Schuldner müssten deutlich mehr für ihre Kredite ausgeben. Ohne gravierende Kürzungen wären viele Staatshaushalte kaum noch finanzierbar. Es drohen Konjunktureinbrüche und ein Preisverfall am Immobilienmarkt. Wir glauben daher nicht, dass dieses Szenario in absehbarer Zeit eintritt. Wir gehen davon aus, dass die Zinsen noch lange auf einem niedrigen Niveau bleiben werden. Zu groß scheinen die Probleme der Eurozone. Die ausufernden Staatsschulden, die nur mit niedrigen Zinsen finanzierbar sind. Die unterschiedlichen Volkswirtschaften, die vielleicht niemals im Gleichklang laufen. Unser Währungsraum bleibt fragil, auf Unterstützung der Notenbank angewiesen. „Whatever it takes.“
Dieser Artikel ist Teil der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe von „Position“, dem Magazin von Flossbach von Storch. Sichern Sie sich hier Ihr kostenloses Abonnement der "Position".