03.01.2017 - Norbert F. Tofall

Spin­nen die Rö­mer?


Spin­nen die Rö­mer?

In der Populismus-Debatte lohnt ein Blick zurück. Zu allen Zeiten haben Politiker versucht mit der „popularen Methode“ an die Macht zu kommen. Norbert F. Tofall vom Flossbach von Storch Research Institute weist auf geschichtliche Parallelen hin.

Herr Tofall, in der westlichen Welt haben Populisten Hochkonjunktur. Warum eigentlich?

Populismus ist kein neues Phänomen. Es gab ihn zu allen Zeiten. Er ist jedoch in der Regel nur in spezifischen politischen Situationen und gesellschaftlichen Konstellationen erfolgreich. Um diese leichter zu erkennen, lohnt die Adlerperspektive, ein Blick in längst vergangene Zeiten.

Dann legen Sie mal los...

Lassen Sie uns in die Zeit der untergehenden römischen Republik reisen, in die Zeit zwischen 133 v. Chr. und Kaiser Augustus (63 v. Chr. bis 14 n. Chr.). Politiker wie die Brüder Tiberius und Gaius Gracchus, aber auch Clodius Pulcher und Julius Cäsar betrieben in Rom auf eine spezifische Art und Weise Politik.

Was war ihr Ziel?

Die sogenannten „Popularen“ ab 133 v. Chr. verfolgten kein spezifisches Programm. Sie waren keine Partei im heutigen Sinne. Die Popularen ab 133 v. Chr. vereinte eine spezifische Methode der Machtgewinnung, die „populare Methode“ oder „popularis ratio“.

Worin bestand diese Methode?

Die „popularis ratio“ bestand darin, politische Macht durch Umgehung und Missachtung der eigentlichen politischen Entscheidungsinstitutionen zu erlangen. Von Bedeutung ist, dass die Politiker, die sich dieser Methode bedienten, im römischen Senat in der Regel in der Minderheit waren. Sie konnten nur dann die Macht gewinnen, wenn sie den Senat ausschalteten. Deshalb wendeten sie sich direkt an das Volk.

Heißt das, dass die Armen gegen die Reichen kämpften?

Nein und das ist einer der entscheidenden Punkte. Die popularen Politiker dieser Zeit gehörten oftmals zu den reichsten Römern, was sie gerade im Senat in die Minderheitsposition brachte. Besonders deutlich wird das bei der Betrachtung der Ackerland-Reformen, die Tiberius Gracchus forderte.

Das müssen Sie näher erläutern. In der Schule wurde uns beigebracht, dass Tiberius Gracchus und später sein Bruder Gaius selbstlos und aufopfernd in sozialpolitischer Absicht gehandelt hätten.

Lacht. Tiberius Gracchus wendete die „popularis ratio“ erst nach einem empfindlichen politischen Karriereknick an. Und hinter seiner Landreform standen einige der reichsten Römer der damaligen Zeit. Die Forderung von Tiberius Gracchus, alles Land über 125 Hektar zu enteignen und es besitzlosen Römern und Veteranen zu geben, traf diese sehr reichen Senatoren nicht ins Mark. Sie waren nicht auf die Einnahmen aus Landbesitz angewiesen. Die große Mehrheit der damaligen Senatoren war jedoch genau auf diese Einnahmen aus Landbesitz angewiesen. Und durch die Landreform wollte man der Mehrheit des Senats die Existenzgrundlage zerstören. Mit Sozialgesetzgebung hat das sehr wenig zu tun.

Aber kam dieser Vorschlag nicht gut beim Volk an?

Nun, was ist das Volk? Was ist die Meinung des Volkes? Und was sind die Interessen des Volkes? Darüber lässt sich zu allen Zeiten trefflich streiten. Und a priori lassen sich diese Frage nicht beantworten. Deshalb benötigt man ja politische Entscheidungsinstitutionen. In Rom sollten die Volkstribunen die Interessen des normalen Volkes vertreten. Sie sollten dafür sorgen, dass der Senat und die Volksversammlung, an welcher allein aus Zeitgründen in der Regel nur die römische Stadtbevölkerung und nicht alle römischen Bürger teilnehmen konnten, keine Gesetze und Maßnahmen gegen das Volk beschließen.

Wie handelte der Popuplar Gracchus in diesem System?

Tiberius Gracchus hat das Veto eines Volkstribunen bewusst ignoriert, ihn als Verräter und Teil des korrupten Establishments denunziert und einen gewaltsamen Furor entfacht, um auch diese politische Institution auszuschalten. Darüber hinaus ist überhaupt nicht einsichtig, weshalb die Versorgungsfrage der Veteranen und der besitzlosen Stadtbevölkerung nur durch Enteignungen zu lösen gewesen sein soll. Wieso soll das alternativlos gewesen sein? Es ging vielmehr um die bewusste Zerstörung und Beschädigung politischer Institutionen, um einen gewaltsamen Aufstand, um selbst an die Macht zu kommen.

Glaubt man vielen Presseberichten, dann leben wir aktuell in „postfaktischen Zeiten“. Müssen wir mit Unruhen wie im alten Rom rechnen?

Nein, soweit ist es bei uns zum Glück noch nicht. Und der zivilisatorische Fortschritt zeigt sich darin, dass diese Prozesse heute ohne Blutvergießen ablaufen. Ein Furor im Internet ist unblutig. Aber was können wir lernen: Populismus ist offensichtlich erfolgreich, wenn vorab Lösungen von drängenden Problemen verschleppt worden sind. Tiberius Gracchus konnte nur deshalb die „popularis ratio“ nutzen, weil das Problem der Versorgung ehemaliger Soldaten und der besitzlosen Stadtbevölkerung ungelöst war, - und übrigens noch sehr lange nach ihm ungelöst blieb.

Und heute?

Seit der unbereinigten Finanzkrise von 2007/2008 leiden die meisten westlichen Gesellschaften unter politischer und gesellschaftlicher „Polarisierung durch Problemverschleppung“. Wir müssen zwar noch nicht mit dem Untergang unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung rechnen, allerdings sind autoritäre Politikentwürfe von rechts und links und Anti-Globalisierung und Anti-Kapitalismus überall auf dem Vormarsch.

Was kennzeichnet den heutigen Populismus?

Auch der heutige Populismus von links und rechts ist keine bestimmte Partei, sondern wie seit eh und je eine Methode, mit welcher Politik zur Machterlangung betrieben wird. Genau wie im alten Rom werden Sachfragen fürchterlich vereinfacht, zur Polarisierung radikalisiert und als Mittel in einem Kampf gegen das Establishment und das „System“ missbraucht. Es geht heute wie damals nicht um die sachliche Lösung von drängenden Problemen, sondern um die Machtgewinnung um jeden Preis.

Erklären Sie uns das bitte etwas genauer.

Schauen wir wieder nach Italien, allerdings das Italien der Gegenwart. Zur Lösung der drängenden italienischen Probleme – und ich spreche nicht nur von der Bankenkrise – wäre eine Verfassungsreform sinnvoll gewesen, mit der die gegenseitige Politikblockade von Abgeordnetenhaus und Senat aufgelöst worden wäre. Die „Fünf Sterne Bewegung“ stellte sich vehement gegen diese Reform, die mittlerweile ja in einem Referendum gescheitert ist. Eben die „Fünf Sterne Bewegung“, die eigentlich ein starkes Interesse am Erfolg dieser Reform haben müsste, um im Falle der Machtgewinnung, die eigenen verlautbarten Lösungen für die italienischen Probleme schnell umsetzen zu können. Haben sie aber offensichtlich nicht!

Gilt das auch für andere Parteien?

Mit Blick auf die AfD, den Front Nationale, Geert Wilders in den Niederlanden, der FPÖ in Österreich, aber auch Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland und andere rechte und linke Populisten springt ähnliches ins Auge. Anstatt sachliche Lösungen zu fördern, missbraucht man Sachfragen zum Kampf gegen das Establishment und das System und schreckt selbst nicht vor der Zusammenarbeit mit Wladimir Putin zurück, der mit seiner hybriden Kriegführung versucht, die westlichen Gesellschaften zu destabilisieren.

Was können wir tun?

Am wichtigsten ist meines Erachtens, dass wir uns klar machen, dass es „das Interesse des Volkes“, auf welches sich die Populisten von links und rechts berufen, nicht gibt. Es gibt vielfältige unterschiedliche Interessen und Meinungen. Die Populisten sind derzeit jedoch erfolgreich, weil erstens – wie schon ausgeführt – Probleme verschleppt worden sind. Darüber hinaus wurde aber zweitens auch der Wettbewerb um die besseren Lösungen dieser Probleme behindert und vor allem wurden drittens von den etablierten Politikern und Entscheidungsträgern im Zuge der Finanz- und Eurokrise massiv Regeln gebrochen, um den Status quo des Wirtschaftslebens aufrechtzuerhalten. Je schneller der Wettbewerb um die besseren Lösungen unserer Probleme nicht mehr behindert wird und je schneller unsere Politiker und Entscheidungsträger gerade in Situationen wie der Finanz- und Eurokrise wieder die geltenden Regeln konsequent einhalten und in diesem Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft folgen, desto schneller ist der Aufstieg der Populisten meines Erachtens am Ende. Unsere Probleme dürfen nicht weiter verschleppt werden. Und die Finanz- und Eurokrise muß endlich bereinigt werden.

Zur Person:

Norbert F. Tofall ist Senior Reserach Analyst des Flossbach von Storch Reserach Institute (www-fvs-ri.com).  Von 2004 bis 2011 war er Lehrbeauftragter der Viadrina Frankfurt/Oder im Studiengang „Master in International Management“, der in Minsk (Belarus) durchgeführt wurde, und war von 2008 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler. Tofall ist Mitglied im Pool der Bundesregierung für Internationale Friedenseinsätze und hat seit 2002 als Wahlbeobachter an verschiedenen OSZE-Wahlbeobachtungen teilgenommen. Seit 2015 ist er ehrenamtlich Vizepräsident des Austrian Institute of Economics and Social Philosophy in Wien.

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