27.05.2023 -
Europa spielt in vielen Dingen nur noch die „zweite Geige“. Viele möchten das aber nicht wahrhaben. Dabei wäre Einsicht der erste Schritt Richtung Veränderung.
Reisen bildet, heißt es so schön. Ich würde es anders formulieren: Reisen verändert die eigene Perspektive – auf den Ort, an dem wir die meiste Zeit unseres Lebens verbringen, an dem wir sozialisiert worden sind. In meinem Falle ist das Deutschland.
Meine Familie und ich sind gerne unterwegs. Reisen. Dabei geht es uns vor allem darum, andere Menschen, andere Kulturen kennen zulernen. Zu erleben, was diese möglicherweise von der eigenen Wirklichkeit unterscheidet. Gebräuche, Gewohnheiten, nicht zuletzt den Blick auf das Leben im Allgemeinen. Wie gehe ich mit Unsicherheit, wie gehe ich mit Herausforderungen um?
Seit einigen Wochen sind wir in Asien und Ozeanien unterwegs, in diesen Stunden erkunden wir Brisbane, Queensland, Australien; zuvor waren wir bereits in Seoul, der Hauptstadt Südkoreas.
Asien ist uns wohl vertraut. In den vergangenen Jahren waren wir mehrfach dort, die Corona-Hochphase ausgenommen. In Japan oder China. Wir haben es genossen und nicht selten gestaunt.
Auch über Seoul vor einigen Tagen. Über dessen Größe, die beeindruckt, aber nicht verängstigt. Weil die Menschen dort freundlich sind und hilfsbereit. Weil wir uns überall sicher gefühlt haben, zu jeder Zeit. Oder andersherum: Wir uns nicht permanent versichern mussten, ob das Portemonnaie noch am richtigen Ort steckt. Das tat es.
Wir hatten das Gefühl, dass die Menschen aufeinander achtgeben, sich verantwortlich fühlen, sich selbst mitunter nicht so wichtig nehmen.
Beeindruckt waren wir zudem von der wohltuenden Verbindlichkeit südkoreanischer Infrastruktur. Nehmen wir das gewaltige U-Bahnnetz in Seoul, das größte der Welt, als Beispiel: hoch modern, die Züge eng getaktet, aber dennoch verspätungsfrei. Dazu Ticketpreise, die deutlich günstiger sind als die in den Metropolen Westeuropas. Eine Kombination aus Modernität und Bezahlbarkeit – es funktioniert!
Aber nicht nur die U-Bahn ist auf dem neuesten Stand. Auch die Straßen, Gehwege, öffentlichen Plätze und Gebäude zeugen von regelmäßigen Investitionen. Es wird sich gekümmert, nicht gepennt!
Ich möchte nicht als ewiger Nörgler gelten, nicht als der typisch Deutsche, der sich permanent über das eigene Umfeld und die Nachbarschaft beschwert. Es gibt ein sehr zynisches Sprichwort, aus dem Ruhrgebiet stammend: „Woanders is auch scheiße!“ Damit möchte ich mich nicht abfinden. Anderswo ist es mitunter besser. Aber, und das ist das Gute an der Sache: Besser könnte es auch daheim sein.
Wenn wir uns wieder kümmerten. Uns verantwortlich fühlten. Mehr anpackten, statt uns in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Um das zu erkennen, müssen wir zunächst akzeptieren, dass Europa und Deutschland schon lange nicht mehr der Nabel der Welt sind. Nicht ihre großen Unternehmen, auch nicht die vor sich hin bröckelnde Infrastruktur, darunter die eben genannten U-Bahnen, Universitäten oder Krankenhäuser. Im Wettstreit der Volkswirtschaften haben uns andere längst abgehängt, auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen. Das sollten wir aber.
Eine Beobachtung noch von den Straßen Seouls: Fast ausschließlich Neuwagen sind dort unterwegs, die meisten davon heimischer Bauart. Die wenigen Ausnahmen stammen, es mag eigentlich nicht so recht in diesen Text passen: aus Deutschland. Noch gilt das Label „Made in Germany“ im fernen Osten als Gütesiegel. Machen wir etwas daraus!