13.12.2017 -
Die Börsen eilen von einem Rekord zum nächsten. Sind sie womöglich zu weit gelaufen? Droht bald der nächste größere Rückschlag? Oder werden es die Notenbanken schon irgendwie richten?
Die deutschen Sparer sind verunsichert. Immer wieder höre ich von Freunden und Verwandten Klagen über den Kaufkraftverlust ihrer Ersparnisse durch die Kombination von Nullzins und Inflation. Wer sein Geld auf der Bank liegen hat, bekommt künftig immer weniger reale Vermögenswerte und bald auch weniger Güter dafür. Gleichzeitig scheut man aber den Sprung vom Sparbuch oder Festgeld in die Anlage in reale Vermögenswerte. Verständlich ist diese Scheu im Bereich der Immobilien, wo attraktive Objekte meist überteuert und billige Objekte meist unattraktiv sind. Aber auch bei Aktien stellt sich die Frage: Lohnt es sich überhaupt, jetzt noch einzusteigen, obwohl die Aktienkurse schon seit acht Jahren zulegen?
Auf den ersten Blick sprechen zwei gewichtige Gründe gegen den späten Einstieg, wenn man den Beginn des Aufschwungs verpasst hat: Erstens ist der globale Konjunkturaufschwung schon recht alt. Folgt man der Einteilung des US Bureau of National Research, dann ist der Aufschwung der US-Wirtschaft, die für die globale Konjunktur immer noch maßgeblich ist, mit über acht Jahren Dauer der zweitlängste seit Ende der 1950er- Jahre. Es wäre vermessen, wie in den 1990er-Jahren zu glauben, der Aufschwung würde dank der hohen Kunst der Geldpolitik ewig halten. Kippt die Konjunktur, wird auch der Aktienmarkt leiden.
Zweitens sind Aktien nicht mehr billig, wenn man die Bewertungen im historischen Vergleich betrachtet. Ein beliebtes und konservatives Bewertungsmaß für US-Aktien ist das von Robert Shiller berechnete, zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis (CAPE). Gegenwärtig liegt dessen Wert bei mehr als 30, also deutlich über dem historischen Durchschnitt von 17 – und über allen Spitzenwerten seit 1920, ausgenommen dem von 1999. Die hohe Bewertung von US-Aktien färbt natürlich auf alle anderen Aktienmärkte ab.
Andererseits sprechen auch zwei Gründe dafür, jetzt noch in Aktien zu investieren. Erstens ist es unmöglich, die nächste Rezession vorherzusagen und den Einstieg in den Aktienmarkt danach zu planen. Möglicherweise hält der Konjunkturaufschwung noch einige Jahre an. Und wenn die Rezession kommt, weiß niemand, wie lange sie dauert und welche Verwerfungen an den Finanzmärkten sie bringen wird. Möglicherweise fällt Shillers CAPE dann unter 10, wie Anfang der 1980er Jahre, aber der Sparer verpasst vor lauter Angst wieder den Einstieg in die Aktienanlage.
Zweitens sollte man berücksichtigen, dass Aktienbewertungen von den Zinsen abhängen. Nimmt man den Kehrwert von Shillers Kennzahl erhält man die dazu entsprechende reale Gewinnrendite. Diese beträgt gegenwärtig um die 3 ¼ Prozent. Die reale Rendite auf zehnjährige US-Staatsanleihen liegt dagegen bei ungefähr null. Die Risikoprämie auf Aktienanlagen ergibt sich aus der Differenz zwischen der realen Gewinnrendite auf Aktien und der realen Rendite auf Anleihen. Wegen der realen Nullzinsen auf Anleihen liegt sie ebenfalls bei 3 ¼ Prozent und nur wenig unter dem Durchschnitt für die laufende Aufschwungsphase von 3 ½ Prozent. Da üblicherweise die Risikoprämie gegen Ende eines Aufschwungs immer geringer wird, ist der Wert heute recht hoch. Verantwortlich dafür sind die niedrigen Zinsen.
Seit Beginn der Zinsaufzeichnungen waren die Zinsen noch nie so niedrig wie heute. Einmalig ist auch die Manipulation der Zinsen durch das globale Kartell der Zentralbanken. Und noch nie konnten dank der Niedrigzinspolitik der Zentralbanken so hohe Schuldenberge angehäuft werden wie heute. Möglicherweise sind die Zentralbanken zu Gefangenen ihrer eigenen Politik geworden und können die Zinsen nicht erhöhen, wenn die Inflationsrate einmal wieder steigen sollte. Bei niedrigen Nominalzinsen und steigender Inflation dürften aber die Bewertungen der Aktien hoch bleiben, auch wenn das reale Wachstum der Wirtschaft zu wünschen übrig lässt. Denn durch Inflation aufgeblähte nominale Gewinne werden dann mit weiterhin niedrigen nominalen Zinsen diskontiert.
Wer sich von diesen Argumenten nun doch noch für den späten Einstieg in die Aktienanlage überzeugen lässt, sollte allerdings drei Punkte beachten: Erstens sollte er Willensstärke und einen langen Anlagehorizont mitbringen. Bei der nächsten Rezession wird der Wert seines Portfolios leiden. Verkäufe aus Not oder Panik wären dann fatal. Der Anleger muss seinem Portfolio Zeit geben können, sich im Aufschwung wieder zu erholen. Zweitens sollte er sein Portfolio aus Aktien von Unternehmen zusammenstellen, die Stehvermögen haben und im Aufschwung nach der Rezession wieder zu alter Form auflaufen. Stehvermögen haben Unternehmen, die ein stabiles Geschäftsmodell, gutes Management und wenig Schulden haben. Und drittens sollte er so viele Geldersparnisse zurückhalten, wie er braucht, um mittelfristig anfallende Geldausgaben tätigen zu können. Aktienanlagen brauchen eine unbestimmte Zeit zu reifen und können nicht beliebig geerntet werden, weil der Anleger dringend Geld braucht.