12.09.2016 -
Seit vielen Jahren wird Anlegern empfohlen, einen Teil ihres Geldes in Schwellenländern zu investieren – weil dort, anders als in den entwickelten Staaten, das Wachstumspotenzial am größten sei. Viele, die dem Rat gefolgt sind, wurden leider enttäuscht. Wer in Emerging Markets investiert, sollte deshalb deren Besonderheiten im Blick haben.
Aktien aus Emerging Markets (EM) haben sich in den vergangenen Jahren eher mäßig entwickelt, nachdem sie zuvor – vor allem nach der Jahrtausendwende – kräftig gestiegen waren. Bei der Ursachenforschung verweisen viele Marktbeobachter auf zyklische Faktoren – die schwankenden Rohstoffpreise, Wechselkurse und Inflationsraten etwa. Kurzfristig haben die genannten Faktoren zweifellos Auswirkungen auf die Kursentwicklung. Viel wichtiger sind unseres Erachtens jedoch die langfristigen, die strukturellen Einflussfaktoren auf die Schwellenländer-Börsen.
Die Gruppe der Emerging Markets ist äußerst heterogen, das Investmentthema als solches deshalb komplex. Anleger kommen nicht umhin, es ganzheitlich zu betrachten. Die Besonderheiten der einzelnen Länder müssen genauso berücksichtigt werden wie unternehmensspezifische Faktoren und bevölkerungsbezogene Aspekte.
In den vergangenen Jahren haben sich viele Anleger von Marketing-Akronymen leiten lassen – das Kürzel BRIC etwa, die Abkürzung für Brasilien, Russland, Indien und China. Oder die Next-11, ein Werbebegriff für eine Gruppe schnell wachsender Volkswirtschaften, darunter Mexiko oder Indonesien. Griffig klingen diese Namen – deshalb lassen sie sich gut vermarkten. Langfristig ist es unseres Erachtens jedoch wenig sinnvoll, eine Anlagestrategie an derlei Begriffen, Produkten und Indizes auszurichten. Sie gaukeln Gemeinsamkeiten der jeweiligen Länder vor, die es gar nicht gibt.
Ein fallender Ölpreis etwa wirkt sich nicht automatisch negativ auf alle aus. Indien und die Türkei profitieren als Nettoölimporteure sogar davon, während Russland und Nigeria darunter leiden. Südkorea und Taiwan wiederum sind stark auf den Export fokussiert und damit überproportional vom Welthandel abhängig; Indien und die Philippinen dagegen sind relativ geschlossene Volkswirtschaften und werden damit weniger von der globalen Wirtschaftsaktivität beeinflusst. Russland und Brasilien sind stark von den Rohstoffpreisen und damit der Entwicklung Chinas abhängig.
Wichtig ist stattdessen, jedes einzelne Land, also jeden einzelnen Markt separat zu betrachten. Die strukturellen Einflussfaktoren sind dabei der Schlüssel, um die langfristigen Perspektiven eines Landes einschätzen zu können.
Neben der Einhaltung der Rechtsstaatsprinzipien, insbesondere dem Schutz individueller Freiheits- und Eigentumsrechte, ist der Schutz des (geistigen) Eigentums von grundlegender Bedeutung. Investoren reagieren sehr sensibel, sollte der nicht gewährleistet sein. Sie bevorzugen zudem stabile politische Verhältnisse – Korruption, Vetternwirtschaft und politische Unsicherheit bedrohen die Wachstumsperspektiven eines Landes. Die Regierung sollte deshalb für Transparenz, Kontinuität und Verlässlichkeit sorgen. Die Justiz sollte unabhängig, die Presse frei sein. Von Bedeutung sind nicht zuletzt ein entwickelter Kapitalmarkt sowie eine vergleichsweise gut ausgebaute Infrastruktur.
Der Staat übt seinen Einfluss nicht allein auf makroökonomischer Ebene aus, sondern auch auf Ebene der Unternehmen. Staatlich kontrollierte Konzerne, sogenannte SOE (state owned enterprises), zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie weniger produktiv sind als privatwirtschaftliche Unternehmen. Sie sind oftmals weniger transparent, höher verschuldet und anfälliger für Korruption. Außerdem werden bei SOE die Interessen der Minderheitsaktionäre zumeist nicht ausreichend berücksichtigt; stattdessen verhalten sich die staatlichen Vertreter, als seien sie in einem Selbstbedienungsladen. In Emerging Markets finden sich SOE traditionell in den Sektoren Telekommunikation, Energie, Versorger und Finanzdienstleistungen; die Aktienkurse entwickeln sich häufig schwächer als die der privatwirtschaftlichen Unternehmen. Wichtige Emerging Markets mit besonders hohem SOE-Anteil sind China oder Russland.
In China bilden die SOE das Rückgrat der Wirtschaft. Die Unternehmen folgen meist politisch motivierten Zielen, etwa Arbeitsplätze zu schaffen, um die soziale Stabilität zu wahren oder wichtige Rohstoffvorkommen zu sichern. Auch der Drang des Managements, sich selbst zu bereichern, ist häufig zu beobachten. Die zuletzt angekündigten Maßnahmen, den SOE-Sektor zu reformieren, klingen zwar vielversprechend und gehen in die richtige Richtung. Bislang bleiben die Erfolge jedoch hinter den Erwartungen zurück.
SOE werden meist bevorzugt behandelt (vergünstige Kredite, Steuervorteile etc.), was zu Markt- und Wettbewerbsverzerrungen führt und die gesamte Volkswirtschaft belastet. Hohes Wirtschaftswachstum bedeutet nicht automatisch, dass die Unternehmensgewinne kräftig zulegen und die Aktienkurse steigen – insbesondere dann nicht, wenn der Staat Mehrheitsaktionär ist und die Unternehmen benutzt, um übergeordnete politische Ziele zu erreichen.
Aus Sicht einer Volkswirtschaft bedeutet das: Industrien, die von staatsnahen Unternehmen dominiert werden und Sektoren, in denen monopol- oder oligopolartige Strukturen vorliegen, sollten für mehr Wettbewerb geöffnet werden. Ein sukzessiver Rückzug des Staates in Form von Privatisierungen wäre aus Aktionärssicht zu begrüßen. Prinzipiell lässt sich festhalten, dass das Risiko von Staatseingriffen in staatlich kontrollierten Unternehmen höher ausfällt als in privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Unseres Erachtens ist es bei Aktienengagements in Emerging Markets besonders wichtig, dass die Unternehmen eine gute Corporate Governance aufweisen – gemeint ist ein vernünftiger Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung von Unternehmen. Die Mitglieder in den Kontrollgremien sollten unabhängig sein, die Interessen der Minderheitsaktionäre berücksichtigt und Insiderhandel sowie Transaktionen mit verbundenen Parteien offengelegt werden. Das gleiche gilt für Informationen zur Vergütungs- und Anreizstruktur des Managements. Das Management sollte den langfristigen Unternehmenserfolg über die eigenen Interessen stellen. Wichtig sind zudem eine transparente Informationspolitik und die regelmäßige Kommunikation mit den Kapitalmarktteilnehmern.
Um ein Unternehmen bewerten zu können, helfen neben dem Blick auf Eigentümerstruktur und Corporate Governance auch länder- und regionenübergreifende Unternehmensvergleiche. Schwellenländer haben in den vergangenen Dekaden viele Unternehmen hervorgebracht, die sich heute mit global agierenden Konzernen messen können. Einfallsreiche Geschäftsmodelle und das Wissen über die Besonderheiten der lokalen Märkte zeichnen sie aus. Nicht selten haben die „lokalen Champions“ es geschafft, ihre Umsätze weit über die Landesgrenzen auszuweiten. Unternehmen wie Tata Consultancy aus Indien oder Samsung Electronics aus Südkorea etwa sind längst zu international führenden Spielern aufgestiegen.
Umgekehrt sind Unternehmen aus der westlichen Welt immer stärker in den Schwellenländern vertreten. Nicht selten ist der Anteil ihres Umsatzes in den Wachstumsregionen größer als in den Heimatmärkten. Entsprechend stehen EM-Unternehmen und westliche Unternehmen in zunehmendem Wettbewerb zueinander. Die Grenzen zwischen Emerging Markets und der entwickelten Welt verschwimmen. Der klassische Emerging-Markets-Anleger tut deshalb gut daran, auch Unternehmen aus der entwickelten Welt, die sogenannten EM-Profiteure in seine Strategie einzubeziehen.
Schlussendlich sollte der Fokus auf echten Qualitätstiteln liegen. Dabei ist ein unternehmerisch denkendes und handelndes Management mit klarer Ertragsorientierung von überragender Bedeutung. Corporate-Governance-Probleme dagegen bergen hohe Risiken.
Ein solcher Qualitätsansatz lässt sich logischerweise nicht über indexnahe Investments abbilden. Ein Großteil der EM-Indizes wird – wie zuvor ausgeführt – von staatsnahen Unternehmen dominiert.