27.11.2019 - Thomas Mayer

Ist der Westen am Ende?


Ist der Westen am Ende?

Liberale Werte sind aus der Mode, ökonomische Gesetze sollen nicht mehr gelten. Westliche Gesellschaften geraten in die Sinnkrise. Thomas Mayer fragt in einer zweiteiligen Serie nach den Ursachen.

Vor vielen Jahren habe ich einmal Niall Ferguson getroffen. Ein britischer Historiker, der unter anderem in Harvard, Oxford und Stanford lehrte. In seiner Publikation „‚Civilization‘ – the west and the rest“ identifizierte er die Faktoren, die „den Westen“ groß gemacht haben sollen. Der Fortschritt der Wissenschaften gehört sicher dazu, das Entstehen freier Märkte; die Einführung von Eigentumsrechten ist aber zentral.

Das Buch erschien im Jahr 2013. „Civilization“ handelte vom Aufstieg des westlichen Wirtschaftsraumes und erschien kurz vor dem Zeitpunkt, als der Westen von China überholt wurde. 2013 gab es noch keinen US-Präsidenten Donald Trump, Xi Jinping wurde in diesem Jahr Staatspräsident der Volksrepublik China. Die Welt hat sich seither fundamental geändert, heute scheint der Westen in einer Krise zu stecken.

Der Auslöser für den Aufstieg des Westens, das zeigt sich etwa an sehr langfristigen Daten zum Bruttoinlandsprodukt Großbritanniens, ist die Entwicklung einer liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Ab dem 17. Jahrhundert stieg das Wirtschaftswachstum in Großbritannien beinahe explosionsartig an, nachdem liberale Vordenker wie John Locke die Grundlagen für eine freiheitliche Marktwirtschaft legten, mithin der Auslöser für die Vormachtstellung des Westens.

Mit China ist ein neuer Spieler auf dem Spielfeld der globalen Wirtschaftsmächte erschienen. Auch in diesem Land gab es einen Wendepunkt, gut 200 Jahre später als in England. Seit den 1980er-Jahren stieg das Bruttoinlandsprodukt in China von gut einer Billion US-Dollar auf voraussichtlich mehr als 14 Billionen US-Dollar in 2019. Die Ursache: Seinerzeit führte Deng Xiaoping radikale Wirtschaftsreformen ein, die das Land weg von einer zentralistischen Planwirtschaft hin zu einer liberalen Marktwirtschaft führen sollten.

Der Grund für den Aufstieg Chinas

Das explosionsartige Wachstum Chinas ist, auch wenn es im Zeitraffer verläuft, vergleichbar mit dem jahrhundertelangen Aufstieg des Westens. Die Grundlage dafür ist die Freisetzung der dynamischen Kräfte, die die Wirtschaft beflügeln. Der Auslöser des Aufstiegs zur Wirtschaftsmacht war (wie auch schon in Großbritannien und dann in den USA), die Einführung einer liberalen Wirtschaftsordnung.

Man könnte eigentlich meinen, dass ein Gesellschaftssystem, das über so viele Jahrhunderte eine derartige Performance lieferte, unangefochten sein sollte. Dem ist aber nicht so. Wohin Sie auch schauen, der Liberalismus steckt in einer Krise. Auf der einen Seite steht eine Gruppe, die man „Mondialisten“ nennen kann. Sie lehnen das ab, was in einer liberalen Gesellschaftsordnung elementar ist: Dass sich jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten entwickeln, sich die Wirtschaft frei entfalten kann. „Mondialisten“ möchten alles „top-down“ regeln. Seit der großen Finanzkrise haben sie Hochkonjunktur, etwa im Zuge der globalen Regulierung der Finanzbranche. Klimaschutz ist eine gute Sache. Möchten wir deswegen aber Grundprinzipien unserer liberalen Ordnung aufgeben und die Wirtschaft zentral geplant, etwa durch eine globale Klimabehörde steuern lassen?

Auf der anderen Seite stehen die „nationalen Sozialisten“ und damit meine ich ausdrücklich nicht „Nationalsozialisten“. Sie möchten den Sozialismus einführen, aber nur in ihrem Land. Sie haben sicher schon mal ihre Parolen gehört, sie ähneln sich in den verschiedenen Ländern. „Les Français d´abord!“, heißt etwa der Leitspruch des „Rassemblement National“, der Partei Marine Le Pens, die früher einmal „Front National“ hieß. „America first“ heißt es in den USA Donald Trumps. In Deutschland missbraucht die „Neue Rechte“ den Protestruf der Vorwendezeit, „Wir sind das Volk“. Solchen Aussagen ist eines gemein: Die Volksgemeinschaft soll wichtiger sein als alles andere. Mit einer liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung hat das allerdings nichts zu tun.

Die Finanzglobalisierung hat die Eliten reich gemacht

Was hat uns so weit gebracht, dass wir die Grundlagen unserer liberalen Ordnung scheinbar vergessen haben? Ihr Kern ist die Verbindung von Freiheit und Verantwortung. Diejenigen, die Freiheit mit Absicherung verbinden wollten, haben sie getrennt und dadurch Freiheit auf Kosten anderer möglich gemacht.

Die liberale Idee wird in Misskredit gebracht, indem sie fälschlicherweise für Missstände verantwortlich gemacht wird, für die sie gar nichts kann. Deren Ursachen ganz woanders liegen, etwa in einer Politik der Zentralbanken, die vor allem Märkte absichern möchte, komme was wolle, und dadurch Spekulanten vor Verlusten schützt. So entstand eine Blasenökonomie und Finanzialisierung unserer Wirtschaft. Und die Finanzglobalisierung hat die in diesem Bereich tätigen Eliten reich gemacht, während andere leer ausgingen oder ihre Arbeitsplätze verloren. Aktuell kommt eine „Postwachstumspolitik“ zum Klimaschutz in Mode, mit der bestimmte gesellschaftliche Gruppen ihre Vorstellungen auf Kosten anderer durchsetzen wollen, die diese Vorstellungen nicht teilen.

Thomas Mayer ist Gründungsdirektor des Flossbach von Storch Research Institute.

Lesen Sie morgen in der Serie von Thomas Mayer zur Krise liberaler Werte: „Im Sog des Zinsschwunds“

 

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