27.07.2021 -
Die Europäische Zentralbank (EZB) rückt Zinserhöhungen in weite Ferne. Am Markt macht sich Ernüchterung breit. Was bedeutet das für Sparer?
Wer wissen möchte, wie Profi-Anleger die Zukunft einschätzen, für den lohnt der Blick auf die einschlägigen Kennzahlen und Indizes. Für den Geldmarkt der Eurozone, der kurzfristige liquide Anlagen abbildet, sind aktuell etwa die Drei-Monats-„EURIBOR-Futures“ interessant. Die Abkürzung EURIBOR steht für „Euro Interbank Offered Rate“, was übersetzt die durchschnittlichen Zinssätze sind, zu denen sich europäische Banken untereinander Anleihen in Euro gewähren (in diesem Falle für drei Monate). Futures sind wiederum Termingeschäfte, mit denen Geldmarktsätze in der Zukunft (etwa in einigen Jahren) gehandelt werden.
Die Drei-Monats-„ EURIBOR-Futures“ zeigen also, wie der Markt die Renditen von kurzfristigen Ausleihgeschäften in der Zukunft einschätzt. Sie bilden die Zinserwartungen am (Euro-)Geldmarkt ab. Dass die Zinsen für kurze Laufzeiten auf Sicht wieder steigen, scheint mit Blick auf diesen Markt beinahe ausgeschlossen. Wir haben die Zinserwartungen für die nächsten fünf Jahre einmal in einer Grafik abgebildet. Die blaue Linie zeigt die EURIBOR-Zinserwartungen (in Prozent) für die nächsten fünf Jahren zum Zeitpunkt Ende Mai, die gelbe Linie mit dem Stand 22. Juli (dem Tag, als die Europäische Zentralbank (EZB) ihre jüngste Ratssitzung abhielt).
Die Kurven zeigen: Zum einen rechnen die Marktteilnehmer ganz offensichtlich damit, dass sich eine Zinserhöhung weiter in die Zukunft verschiebt. Zum anderen sind die Erwartungen, dass der Leitzins der EZB in den nächsten fünf Jahren wieder in den positiven Bereich steigen könnte, inzwischen vollständig ausgepreist. Natürlich sind solche Einschätzungen nur temporär und mit Vorsicht zu genießen. Andererseits bilden sie die Erwartungen der Marktteilnehmer sehr plastisch ab.
Eine Ursache für die allgemeine Zinsskepsis dürfte der Rat der EZB sein, der auf seiner jüngsten Sitzung Ende Juli dafür stimmte, dass die Zinsen auf (oder unter) den aktuellen Niveaus bleiben sollten, sofern die Inflation nicht bald und nachhaltig steigt. Bald bedeutet „deutlich vor dem Ende des Projektionshorizonts“, der wiederum bis 2023 läuft. Oder anders formuliert: Damit die Zinsen steigen, muss die Inflation in gut einem Jahr deutlich angestiegen sein – und der EZB-Rat muss diesen Anstieg zusätzlich als so nachhaltig beurteilen, dass die Inflation auch bei Zinsschritten bis einschließlich 2023 nicht unter zwei Prozent fällt, sondern sich dort normalisiert. Erst dann wäre über Zinsschritte zu diskutieren.
Ähnlich wie die US-Notenbank, die sich unlängst auch ein symmetrisches Inflationsziel verordnet hat, muss die Inflation also nachhaltig steigen. Wenn sie hingegen, wie vor der Coronakrise lange Zeit unter der Zielmarke von zwei Prozentpunkten verharrt hat, darf diese in den Jahren danach eine ganze Weile überschritten werden, weil sich eine Art Inflationsguthaben aufgebaut hat, das man dann verbrauchen kann. Diese neue Strategie erscheint einerseits historisch. Die Notenbanker tolerieren, wenn die Inflation überschießt. Mit Werten, wie sie einst die Deutsche Bundesbank vertrat, hat das wenig zu tun. Andererseits gibt es eine Konstante, nennen wir sie einmal die „selbst verordnete Flexibilität“. Es zeigt sich einmal mehr: Wenn die Notenbank ihre Ziele nicht erreichen kann (etwa das der Inflation), dann wird nicht kritisch überprüft, ob diese Ziele überhaupt realistisch sind. Es werden stattdessen die Mittel verschärft und der Rahmen ausgeweitet, in dem sich die Geldpolitik bewegen kann. Auch wenn das selbst gesteckte Inflationsziel nun also übersprungen werden sollte, muss sich in Zukunft kein Notenbanker mehr für dauerhafte für Null- und Negativzinsen rechtfertigen.
Für Sparer, die nur auf klassische Zinskonten setzen, sind das keine guten Nachrichten. Für sie gibt es kaum noch eine Aussicht auf Erträge, wenn der Kaufkraftverlust durch die Inflation abgezogen wird. Der reale Werterhalt des Vermögens ist in der Regel nicht mehr gewährleistet. Spätestens jetzt sollten sich Sparer wohl nach Alternativen umsehen – zumindest, wenn sie die Kaufkraft ihrer Ersparnisse langfristig erhalten möchten.