22.01.2019 - Bert Flossbach

Eine Frage der Bewertung


Eine Frage der Bewertung
Bert Flossbach

Die Kursrückgänge der vergangenen Monate haben die Bewertungen von Aktien deutlich reduziert. Ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um Positionen aufzubauen?

Sowohl in den USA als auch in Europa bzw. Deutschland liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) zum Jahreswechsel mit 14,3 bzw. 11 unter dem Durchschnitt der vergangenen 30 Jahre. Wenn man die extrem niedrige Rendite von Anleihen bedenkt, sind Aktien sogar noch attraktiver. Das verdeutlicht ein Vergleich der Gewinnrendite (Unternehmensgewinn geteilt durch den Börsenwert) mit der Rendite von Anleihen.

Investoren verlangen Risikoprämie

Da die Gewinne von Unternehmen mit größeren Unsicherheiten als die Zinsen von Anleihen verbunden sind, verlangen Investoren in der Regel einen Risikoaufschlag, der auch als Risikoprämie bezeichnet wird. In den USA liegt die Gewinnrendite der Unternehmen bei sieben Prozent. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen beträgt 2,7 Prozent. Das ergibt eine Risikoprämie von 4,3 Prozentpunkten, was historisch betrachtet überdurchschnittlich hoch ist.

Höhe der Risikoprämie allein nicht aussagekräftig

Ob Aktien deshalb heute günstig und die jüngsten Kursrückschläge eine Kaufgelegenheit sind, lässt sich aber nicht allein mit der Risikoprämie begründen. Sie gilt bei unverändertem Zinsniveau und konstanten Unternehmensgewinnen und bietet eine Sicherheitsmarge für den Fall steigender Zinsen und fallender Unternehmensgewinne. Eine überdurchschnittlich hohe Risikoprämie spiegelt also einen gewissen Pessimismus oder zumindest eine größere Unsicherheit bezüglich der Gewinnentwicklung und/oder die Erwartung deutlich steigender Zinsen wider.

Aktien historisch günstig bewertet

Es gab sogar Phasen mit negativen Risikoprämien, wie ein Blick auf die historische Entwicklung verdeutlicht (siehe Grafik 1). In den Neunzigerjahren lag die Gewinnrendite oft unter der sicheren Rendite von Staatsanleihen. Trotzdem waren Aktien lange Zeit ein gutes Investment, weil die Unternehmensgewinne stark stiegen. Anfang 2000 war der Optimismus der Anleger dann so groß, dass sie ihr Geld trotz sicherer Anleihezinsen von sechs Prozent lieber in Aktien mit einer mageren Gewinnrendite von vier Prozent (entspricht einem KGV von 25) investierten. Als die Gewinne nicht mehr stiegen, platzte die Blase.

Dieses Risiko besteht heute aufgrund der sehr moderaten Bewertung von Aktien und dem nachhaltig niedrigen Renditeniveau von Anleihen unseres Erachtens nicht. Solange die Unternehmensgewinne nicht stark unter Druck geraten, erscheint eine Fortsetzung des Kurseinbruchs und das Erreichen neuer Tiefstände unwahrscheinlich.

Es dauert eine Weile, bis Kursrücksetzer verdaut sind

Allerdings sprechen die eingangs beschriebenen Unsicherheiten auch gegen stark steigende Bewertungen und ein baldiges Wiedererreichen der alten Höchststände. Dazu müssten gleich mehrere Probleme gelöst werden, denn auch für US-Unternehmen ist die Entwicklung im „Rest der Welt“ nicht unbedeutend. Hinzu kommt, dass die scharfe Korrektur der vergangenen Monate viele US-Anleger verunsichert hat und es eine Weile dauern wird, bis das Vertrauen zurückkehrt und sich in niedrigeren Risikoprämien, sprich höheren Bewertungen, niederschlägt.

Ähnliches gilt für den deutschen Aktienmarkt, wo die Kursverluste höher und die Unsicherheiten aufgrund der komplexen Gemengelage noch größer sind. Das niedrige Bewertungsniveau mit einem KGV von elf bzw. einer Gewinnrendite von neun Prozent spiegelt das wider. Bei einem Zinsniveau zehnjähriger Bundesanleihen nahe null ergibt sich eine Risikoprämie von fast neun Prozent, was sowohl im historischen Vergleich als auch im Vergleich zu den USA (siehe Grafik 2) sehr hoch ist. Selbst wenn man statt der Nullrendite von Bundesanleihen die höhere Rendite von US-Anleihen heranzöge, läge der Renditevorsprung von Aktien immer noch bei gut sechs Prozent.

Eine mögliche Eskalation des Handelskonflikts, die noch nicht überwundene Dieselkrise, der anstehende Brexit sowie die politischen Turbulenzen in Italien und Frankreich stellen für deutsche Unternehmen eine größere Bedrohung als für US-Unternehmen dar. Das schlägt sich in einer überdurchschnittlich hohen Risikoprämie deutscher Aktien nieder.

Investoren misstrauen deutschen Aktien

Investoren trauen den Gewinnerwartungen der Unternehmen und Aktienanalysten nicht so recht und verlangen deshalb eine besonders hohe Sicherheitsmarge. Dies bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass in dem niedrigen Kurs- und Bewertungsniveau bereits einiges an Ungemach eingepreist sein dürfte. Grob geschätzt könnten die Gewinne in diesem Jahr, die Erwartungen um mindestens 20 Prozent verfehlen, ohne dass Aktien deshalb heute zu teuer wären. Die darin zum Ausdruck kommende Vorsicht deckt sich mit der skeptischen Stimmung der Anleger zum Jahreswechsel.

Sollten sich einige der dunklen Wolken verziehen, hätte die Bewertung deutscher Aktien Luft nach oben und die Kurse das Potenzial für eine Rally, wobei die alten Höchststände zunächst außer Reichweite bleiben dürften. Der Konjunkturzyklus ist weit fortgeschritten. Der Handelskonflikt, die Diskussion über eine bevorstehende Rezession und die Politik von US-Notenbank und EZB werden uns das ganze Jahr begleiten. Das Einzige, was man für 2019 als sicher unterstellen darf, ist eine hohe Schwankungsbreite der Kurse.

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