20.10.2022 -
Weltweit zwingen hohe Inflationsraten die Notenbanken zum Handeln. Auch in Japan steigen die Preise. Doch die Geldpolitiker kümmert das bislang wenig.
Inflation – für Japans junge Bevölkerung dürfte das wie eine Art Fremdwort klingen. Ende 2021 lag das Preisniveau im Land der aufgehenden Sonne gerade einmal 3,1 Prozent höher als im Jahr 2000 (vgl. Grafik 1). Das entspricht einem Anstieg von gerade einmal 0,1 Prozent pro Jahr, der ohne die Mehrwertsteuererhöhungen der Jahre 2014 und 2019 sogar noch niedriger ausgefallen wäre.
Doch die Zeiten konstanter Preise sind nun auch in Japan vorbei. Vor allem die globale Energiepreisrally trifft nach Jahren der Nullinflation auch die japanischen Verbraucher: Im August 2022 zahlten japanische Haushalte 20,1 Prozent mehr für Gas als ein Jahr zuvor. Für Strom mussten sie 21,5 Prozent mehr auf den Tisch legen. Damit kletterten die japanischen Verbraucherpreise im August um 3,0 Prozent im Vorjahresvergleich.
Wer glaubt, dass die aufkeimende Inflationsblüte Japans Notenbanker in Aufruhr versetzt, hat sich allerdings getäuscht. Sie verweisen auf geringes Lohnwachstum und die niedrige Kerninflationsrate (ohne Lebensmittel und Energie). Letztere liegt noch immer unterhalb des Zwei-Prozent-Ziels der Notenbank. Anders ausgedrückt schätzt die Bank of Japan (BoJ) die aktuelle Inflationsdynamik (noch) als „vorübergehendes Phänomen“ ein und sieht keinen akuten Handlungsbedarf. In der Konsequenz fährt die BoJ eine Geldpolitik, die weltweit ihres gleichen sucht. Während zahlreiche Währungsräume Null- und Negativzinsen hinter sich lassen, verteidigen Japans Notenbanker unverändert die Rendite 10-jähriger japanischer Staatsanleihen nahe null. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die BoJ im Juni diesen Jahres verkündet, bei Bedarf sämtliche 10-jährigen Staatsanleihen zu einer festgelegten Rendite von 0,25 Prozent zu kaufen. Ein Kauflimit ohne Grenzen.
Damit differenziert sich Japans Notenbank vom Rest der Welt. Eine Geldpolitik, die Marktteilnehmer inzwischen weltweit abstrafen und die den Yen auf Talfahrt schickt. Gegenüber dem Euro verlor Japans Währung in den ersten drei Quartalen dieses Jahres rund 8 Prozent. Noch deutlicher sank der Kurs des Yen gegenüber dem US-Dollar. Hier beläuft sich das Minus in diesem Jahr auf gut 20 Prozent. Eine geldpolitische Wende in Japan hin zu höheren Zinsen könnte dem Yen zwar wieder auf die Beine helfen. Realistisch wären höhere Zinsen aber vor allem dann, wenn die Inflation in Japan hartnäckiger oberhalb des Zwei-Prozent-Ziels verweilen sollte als es Japans Notenbanker derzeit annehmen. Aber könnte die BoJ die Inflation überhaupt noch wirkungsvoll bekämpfen?
Ein Blick auf die Staatsverschuldung Japans verrät einiges über den Handlungsspielraum der BoJ. Ende 2021 lag diese bei 262 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Leider ist die Staatsverschuldung in Japan auch das einzige, das strukturell wächst. Während die nominale Wirtschaftsleistung des Landes im Jahr 2021 gerade einmal ein Prozent höher lag als im Jahr 2000, mussten die chronisch hohen Haushaltsdefizite den Staatskonsum finanzieren. In diesem Jahrtausend lag das jährliche Haushaltsdefizit bei durchschnittlich 5,9 Prozent. Vor (Netto-) Zinskosten betrug das jährliche Primärdefizit des japanischen Staates im Durchschnitt immer noch 4,9 Prozent (vgl. Grafik 2).
Solide wirkt eine solche tiefrote Staatsbilanz wohl eher nicht. Angesichts der hohen Verschuldung und des chronischen Haushaltsdefizits braucht es dann auch keinen Propheten, um die missliche Lage der BoJ zu erkennen. Wie keine andere Notenbank ist sie zur Finanzierung des Staates „verpflichtet“. Insofern ist es nur plausibel anzunehmen, dass jede potenzielle Zinserhöhung sehr behutsam erfolgen wird, um die Schuldentragfähigkeit des Staates nicht zu gefährden. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Inflation der BoJ keine Alternativen mehr lässt.