21.05.2019 -
Wie steht es um den Euro? Im Interview ist für Philipp Vorndran und Thomas Lehr klar, dass die Gemeinschaftswährung eher der Lira als der D-Mark gleicht.
Der Euro hat am 1. Januar seinen 20. Geburtstag gefeiert, zumindest das Buchgeld. Wie sieht die Gemeinschaftswährung an ihrem 50. aus?
Lehr: Gefeiert würde ich das nicht gerade nennen, es war eher ein stilles Jubiläum ...
Vorndran: Ein sehr stilles! Die Frage impliziert im Übrigen, dass der Euro tatsächlich 50 wird.
Haben Sie Zweifel?
Vorndran: Zweifel sind immer erlaubt. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Währungsgemeinschaften nicht für die Ewigkeit gemacht sind, die Lateinische Münzunion etwa ist ein gutes Beispiel gewesen (von 1865 bis 1914, formal bis 1926. Anm. der Redaktion).
Lehr: Was aber nicht zwingend bedeuten muss, dass der Euro nicht deutlich älter wird.
Vorndran: Logisch, aber es zeigt, dass eine Währungsgemeinschaft stets Fliehkräften ausgesetzt ist, die ihren Fortbestand gefährden.
Welche Kräfte wirken im Falle des Euros?
Lehr: Die Verschiedenheit der einzelnen Mitgliedstaaten.
Aber Verschiedenheit ist doch genau das, was Europa am Ende des Tages ausmacht?
Lehr: Das stellt auch niemand infrage und sollte auch nicht wertend gemeint sein. Aber wenn sich verschiedene Staaten, deren Volkswirtschaften unterschiedlich stark sind, als Währungsgemeinschaft zusammentun, dann funktioniert das nur, wenn neben der gemeinsamen Währung auch eine gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik implementiert wird, also ein Ausgleichsmechanismus zwischen den wirtschaftlich stärkeren und den weniger starken Mitgliedern.
Vorndran: Früher, als es noch Schilling, Lira, Peseta oder D-Mark gab, war dieser Mechanismus die Auf- und Abwertung der Währung. Die Italiener beispielsweise haben oft davon Gebrauch gemacht, um über niedrigere Preise an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Der Euro beraubt sie dieser Möglichkeit. Er ist wie ein Gefängnis.
Dann wäre der Schlüssel die gemeinsame Wirtschafts- und Fiskalpolitik.
Lehr: Theoretisch ja.
Und praktisch?
Vorndran: Eher nein. Oder glaubt ihr, in den Niederlanden, Österreich, Finnland oder Deutschland würde irgendjemand vor Freude auf den Tischen tanzen, wenn er einen Griechenland-Soli bezahlen müsste? Über den Länderfinanzausgleich in Deutschland wird gestritten, seit es ihn gibt. Es wäre zwar schön, wenn es auf europäischer Ebene anders wäre, nur realistisch ist das nicht.
Lehr: Deswegen muss ja auch die Europäische Zentralbank ran!
Wie meinen Sie das?
Lehr: Sie hält den Laden zusammen, indem sie den Euro zu einer Weichwährung macht. Weich genug für die hochverschuldeten Mitgliedstaaten. Anders ausgedrückt: Die Zinsen müssen unseres Erachtens niedrig bleiben, um die mittlerweile gewaltigen Schulden dauerhaft bezahlen zu können. Das schwächt den Euro. Die Zeche zahlen nicht zuletzt die Sparer, insbesondere in den Ländern, deren Haushalte vergleichsweise solide dastehen.
Vorndran: Der Euro ist heute mehr Lira als D-Mark.
Aber auch diese Art der Umverteilung führt zu Unmut ...
Vorndran: Natürlich, aber nicht so unmittelbar, wie eine direkte Abgabe das tun würde. Vielen Menschen fällt das schlicht nicht auf. Zumindest noch nicht. Ich würde aber davon ausgehen, dass die Erkenntnis mit den Jahren wachsen wird. Und der Unmut leider auch.
Lehr: Was tragisch ist. Denn so wird der Euro, der eigentlich als Friedensstifter gedacht war, zum Spaltpilz.
Die Amtszeit von EZB-Chef Draghi endet im Herbst. Sein Nachfolger, seine Nachfolgerin könnte einen Strategiewechsel einläuten, was die Geldpolitik betrifft.
Vorndran: Wohl kaum. Aus den zuvor genannten Gründen. Die jüngsten Entscheidungen der EZB, die Langfristkredite für europäische Banken, zeigen zudem, dass der Nachfolger oder die Nachfolgerin Draghis schon vor dessen Abgang de facto dazu verpflichtet wurde, die Politik des Vorgängers fortzusetzen.
Was bedeutet das für Anleger?
Lehr: Mehr Sachwerte, weniger Sparbuch.
Vorndran: Und mehr Fremdwährungen, nicht nur den Euro.
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