26.03.2020 -
In turbulenten Börsenzeiten gilt: Vorsicht ist angebracht, Panik schädlich. Kapitalmarktstratege Thomas Lehr erklärt, warum es sich für Anleger lohnt, geduldig an ihrer Strategie festzuhalten.
Herr Lehr, das Corona-Virus breitet sich aus und nach einer Rally zu Jahresbeginn ist der US-Aktienindex S&P 500 stark zurückgefallen. Derartige Schwankungen verunsichern viele Anleger. Was sagen Sie Ihnen?
Thomas Lehr: Dass kurzfristige Marktbetrachtungen nicht viel bringen. Geldanlage sollte ein mittel- bis langfristiges Projekt sein. Anleger sollten also mindestens auf Sicht von fünf, besser sieben Jahre in Aktienmärkte investieren. Dass der kräftige Kursrückgang Anleger verunsichert, ist aber gut nachvollziehbar. Im Gegensatz zu Themen wie dem Brexit, der lange die Schlagzeilen dominierte, aber letztlich nur regional begrenzte Auswirkungen hat, ist die Ausbreitung des Coronavirus und die Versuche, seine Ausbreitung einzudämmen, von globaler Relevanz. Es ist daher davon auszugehen, dass die volkswirtschaftlichen Daten, aber auch Unternehmenszahlen tatsächlich deutlich beeinträchtigt werden.
Aber ist es dann nicht besser, aus den Aktienmärkten auszusteigen?
Wie gesagt – ich denke, das ist zu kurz gedacht. Es gibt schließlich auch eine Zeit nach dem Virus – und die wird nicht erst 2025 beginnen. Wir gehen davon aus, dass das Thema die Finanzmärkte nur temporär beeinträchtigen wird. Daher dürfte es für langfristige Anleger weniger relevant sein. Übrigens: wenn wir hier von „Relevanz“ sprechen, muss klar sein, dass wir hier einzig aus Anlegersicht sprechen. Wir sind uns einig, dass das Thema ganz viele Dimensionen hat; für jeden einzelnen und noch mehr für die Gesellschaft.
Ja, sicher. Doch wäre es nicht dennoch besser, in der Krise zu verkaufen und später wiedereinzusteigen?
Die Erfahrung zeigt doch, dass ein Verkauf sehr viel leichter ist als der Wiedereinstieg. Den raschen Wiedereinstieg verpassen in der Praxis die meisten Privatanleger. Dieser wäre aber für die Mehrzahl der Sparer – und ich sage absichtlich Sparer und nicht Anleger – geboten. Unseres Erachtens wird jede Hoffnung, dass die Zinsen steigen, durch die aktuellen Turbulenzen noch kleiner, als sie es ohnehin schon war. Daher lohnen aktiv gemanagte Portfolien, die professionelle Fondsmanager verwalten. Denn es gibt gerade in solchen turbulenten Marktphasen auch viele Chancen. Zumindest, wenn die Kurse von Aktien ertragreicher Unternehmen mit soliden Bilanzen und attraktiven Geschäftsmodellen temporär ebenfalls verlieren.
Wie machen Sie Ihre Portfolien denn krisenfest?
„Krisenfest“ suggeriert meines Erachtens zu sehr, dass sich ein Portfolio in der Krise am besten gar nicht bewegt. Viel wichtiger ist aber, aus der Krise möglichst gestärkt herauszukommen. Die aktuelle Situation bestärkt uns in unserer langfristigen, robusten Anlagestrategie, die sich in unserem Flossbach von Storch-Pentagramm und Anlage-Weltbild widerspiegelt. Am Aktienmarkt bevorzugen wir seit jeher Qualitätstitel von Unternehmen mit soliden Bilanzen, geringen Verschuldungen und attraktiven Geschäftsmodellen, die auch herausfordernde Zeiten gut überstehen - und das Potenzial haben, nach temporären Krisen stärker dazustehen als zuvor. Gold bleibt unsere Versicherung gegen die bekannten und unbekannten Risiken im Finanzsystem und auch bei den Anleihen, die wir halten, ist die Qualität entscheidend.
Wie haben sie in den vergangenen Wochen reagiert, als die Märkte stark schwankten?
Auch wenn unsere Portfolien nicht völlig immun gegen die Schwankungen waren, sind wir bisher ganz gut durchgekommen. Erstens war unsere Aktienquote schon vor dem Rücksetzer wegen der zuletzt gestiegenen Bewertungen vergleichsweise niedrig. Zweitens hatten wir einen Teil abgesichert. Es war absehbar, dass das Virus in dem Moment die Finanzmärkte stärker bewegt, in dem es sich nicht nur im fernen China, sondern auch in den USA und Europa und somit vor der „eigenen Haustüre“ ausbreitet. Drittens hilft uns in solchen Phasen natürlich die oben beschriebene, grundsätzliche Idee vom Investieren. Auch Firmen brauchen ein gutes Immunsystem und das ergibt sich aus dem Geschäftsmodell und der Stärke der Bilanz. Der Reflex nachzukaufen, setzt erst langsam ein. Man muss schauen, wo solche Unternehmen über Gebühr und undifferenziert abgestraft wurden. Zu guter Letzt war auch die Goldposition ein gewisser Puffer.
Viele Anleger beginnen erst ab Mitte Vierzig damit, richtig für das Alter vorzusorgen. Halten Sie es mit Blick auf die jüngsten Turbulenzen für sinnvoll, Aktieninvestments zu nutzen und jetzt mit dem Sparen anzufangen?
Wenn nicht jetzt, wann dann? Die Aussage bezieht sich allerdings weniger auf die aktuellen Turbulenzen als auf die nicht mehr vorhandenen Zinsen. Gerade beim langfristigen Vermögensaufbau wirkt der Zinseszinseffekt, den Albert Einstein mal als das achte Weltwunder bezeichnet hat. Wie wollen Sie aber Vermögen aufbauen, wenn der Zins quasi abgeschafft wurde? An den Aktienmärkten stehen die Chancen für Anleger, die bereit sind Schwankungen auszusitzen, hingegen deutlich besser, wie ein Blick in die Historie zeigt.
Wenn aber sehr sicherheitsorientierte Anleger ein Sparprodukt finden, das ihnen sichere 1,5 Prozent pro Jahr bringen würde. Kann das nicht besser sein?
Angenommen, Sie erhalten wirklich zwanzig Jahre lang diesen Ertrag. Dann würden Sie über den gesamten Zeitraum etwa ein Drittel auf Ihr eingesetztes Kapital verdienen, Kosten und Steuern nicht eingerechnet. Nominal mag das genügen, doch real reicht das nicht. Liegt doch das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank bei zwei Prozent.
Aber würden Anleger, die in einer Abschwungphase mit dem Sparen für die Altersvorsorge beginnen und die Aktienmärkte nutzen wollen, nicht zum falschen Zeitpunkt einsteigen?
Die kurzfristige Entwicklung ist nie vorhersehbar. Weder mit noch ohne Virus. Daher kann es sinnvoll sein, hohe Beträge in mehrere Tranchen aufzuteilen und nach und nach zu investieren. Wer ohnehin plant, regelmäßig zu sparen, für den sind Marktrücksetzer, wie wir sie derzeit erleben, vor allem Chancen. Denn er kauft sich nach und nach ein und profitiert von niedrigen Einstiegskursen. Und der Gewinn liegt bekanntlich im Einkauf.
Dennoch kaufen die wenigsten. Die meisten Privatanleger verkaufen vor allem in schlechten Zeiten. Wieso?
Ich weiß gar nicht sicher, ob nicht vielleicht vor allem institutionelle, oftmals sehr viel kurzfristiger ausgerichtete Anleger deutlich häufiger verkaufen. Bei Privatanlegern spielt sicher eine Rolle, dass alle den Preis der Aktie, aber die Wenigsten den Wert der Unternehmen einschätzen können. Daher fehlt die Orientierung. Sie können dann schlicht nicht beurteilen, ob etwas teuer oder billig ist. Fallen die Kurse, dann befindet sich, etwas salopp formuliert, nicht nur das Depot im Sinkflug, sondern der Anleger im Blindflug – und verkauft. Gerade deswegen kann es für den weit überwiegenden Teil der Anleger sinnvoll sein, die Wahl der Unternehmen jemandem anzuvertrauen, der den Wert besser einschätzen kann als der Anleger selbst. Alles, was Sie als Anleger dann für den Erfolg brauchen, ist Geduld….
…und in Zeiten tiefer Zinsen einen hohen Aktienanteil?!
Das Risikoempfinden ist höchst individuell. Der passende Anteil von Aktien im Portfolio hat auch viel mit Emotionen zu tun und deswegen sollte der Aktienanteil letztlich immer nur so hoch sein, dass Anleger dabei ruhig schlafen können. Es wird Menschen geben, die sich lieber etwas langsamer herantasten, aber auch Investoren, die gelassen und ruhig mit Schwankungen umgehen, so wie mich. Ich habe persönlich etwa 80 Prozent Aktien im Depot. Das Gros meiner Anlagen soll mir auf lange Sicht Renditen bringen. Mit dem Rest versuche ich, fundamentale Krisen etwa mit einer Goldposition abzufedern und mit einer flexiblen Kasse Chancen zu nutzen, wenn sie sich bieten.