11.09.2018 -
Die Kurse in den USA haben zugelegt, während Europa zurückgefallen ist. Glaubt man der Diskussion über teure und weniger teure Märkte – müsste es eigentlich andersherum sein. Was läuft da „schief“?
Vorab eine kleine Geschichte. Vielleicht haben Sie sie auch gelesen? Etwa zwei Wochen ist es her, da schlug die BILD-Zeitung „Geldalarm“ – „Inflation frisst Erspartes und Gewinne auf“. Im Grunde lieferte sie den Beweis gleich mit, vermutlich, ohne sich dessen bewusst zu sein. Links oben, in der Nähe der vier großen Buchstaben, steht nämlich der Preis: 90 Cent kostet heute ein Exemplar. 1986 waren es noch 25 Cent, umgerechnet, weil damals noch in Pfennig bezahlt wurde. 1996 dann umgerechnet 35 Cent und 2008 immerhin 60 Cent.
Durchschnittlich hat der Springer-Verlag sein liebstes, weil provozierendstes Printprodukt nach unseren Berechnungen pro Jahr um rund vier Prozent verteuert. Gut vier Prozent! Wie soll das ein Sparer heute verdienen? Ohne Aktien wird das unseres Erachtens nicht funktionieren. Auch wenn es manchmal nervt: Wir werden nicht müde werden, auf diesen schlichten Befund hinzuweisen.
Nun sind viele Investoren derzeit in Habt-Acht-Stellung. Aus Gesprächen, insbesondere mit institutionellen Anlegern, wissen wir, dass viele ihre Aktienquoten Anfang des Jahres bzw. im Frühjahr reduziert haben. Sie hofften – und hoffen noch immer – auf den großen Rücksetzer, der doch irgendwann kommen würde, ja kommen müsste, um dann zu günstigeren Kursen wieder einzusteigen. Doch der Rücksetzer ist bislang ausgeblieben. Wie so oft in den vergangenen Jahren. Den Kursen dann hinterherschauen zu müssen, ist ernüchternd.
Dabei müssten Italienkrise, Handelskrieg, Lira-Absturz oder die endlose Debatte über einen ungeordneten Brexit doch ausreichend Stoff bieten für einen ordentlichen Rücksetzer, so die weit verbreitete Einschätzung. Und überhaupt seien die Kurse doch viel zu weit gelaufen in den vergangenen Monaten. Das gelte insbesondere für den US-Markt, weniger für Europa. Tatsächlich?
Sie kennen die Diskussion mindestens so gut wie wir: USA oder Europa? Eine Frage, die auch Journalisten immer wieder und besonders gerne stellen. Die Conclusio ist dann meist die gleiche, nämlich dass amerikanische Aktien sehr teuer, europäische dagegen deutlich günstiger seien, ergo die heimischen Unternehmen künftig noch großes Aufholpotenzial hätten. So viel zu dieser leidigen Diskussion. Mal davon abgesehen, dass Investoren unseres Erachtens niemals zuerst in Märkten, sondern vor allem in Unternehmen denken sollten, ist diese Einschätzung schlicht falsch!
Erlauben Sie uns dazu einige Anmerkungen. Im Grunde entwickeln sich die US-Indizes nicht erst seit Jahresanfang besser als ihre europäischen Verwandten, sondern schon deutlich länger. Dafür gibt es verschiedene Gründe, der erste ist struktureller Natur: In den USA verzerren die Tech-Giganten, Amazon oder Alphabet beispielsweise, die Indexnotierungen überproportional stark. Ihre deutlichen Kurszuwächse ziehen die großen Indizes mit nach oben. In Europa jedoch gibt es keine Unternehmen, die vergleichbar wären mit den hier genannten. Andersherum: Nähme man sie heraus aus den US-Indizes, fiele das Kursplus bei den Indizes auch deutlich kleiner aus. Das „gewöhnliche“ US-Unternehmen ist also gar nicht so viel teurer als sein „gewöhnlicher“ Konkurrent aus Europa, wenn überhaupt. Meist werden jedoch Äpfel mit Birnen verglichen.
Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Die Steuerreform der US-Regierung. Sie erklärt die aktuellen Performance-Unterschiede und ist aus Investorensicht derzeit der deutlich wichtigere Faktor. Die Steuerreform wirkt, das lässt sich unseres Erachtens mittlerweile absehen, wie ein gewaltiges Konjunkturprogramm für die US-Unternehmen. Allein im ersten Quartal fielen deren Gewinne im Schnitt um rund 25 Prozent höher aus als im Vorjahreszeitraum. Auch im zweiten Quartal beträgt das durchschnittliche Gewinnplus mehr als 20 Prozent.
Der ein oder andere mag einwenden, es handele sich um einen kurzfristigen Effekt, der irgendwann verpuffen würde. Wir sehen das anders. An den Steuersätzen wird sich schließlich nichts ändern – zumindest vorerst nicht. Der Steuervorteil im Vergleich zu den Mitbewerbern bleibt also aus Sicht der US-Unternehmen zunächst ein Wettbewerbsvorteil.
Für US-Aktien bedeutet das, dass die Kurse seit Anfang des Jahres zwar deutlich geklettert, die Bewertungen jedoch gefallen sind. Anders ausgedrückt: Aktien können auch steigen, ohne teurer zu werden. Genau das ist in den USA zuletzt passiert. Der lapidare Verweis auf die neuerlichen Höchststände – der zumeist nichts anderes bewirken soll, als potenzielle Investoren zu verunsichern – kann also in die Irre führen. Dann nämlich, wenn die Unternehmensgewinne stärker zulegen als die Aktienkurse der betreffenden Unternehmen.
Erlauben Sie uns diesbezüglich noch einen weiteren Hinweis. In den vergangenen Wochen wurde ein ums andere Mal behauptet (nicht zuletzt von US-Präsident Trump selbst), die Börsenrally in den USA sei die längste Börsenrally aller Zeiten. Ihr Beginn ist datiert auf den 9. März 2009. Auch diese Aussage transportiert sehr viel Skepsis. Der implizierte Gedanke: Auch die längste Börsenrally aller Zeiten muss doch eher früher als später ein Ende finden. Kurzum: Der nächste Krach könnte kurz bevor stehen.
Auch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Ein Bullenmarkt gilt als beendet, wenn der Markt (auf Schlusskursbasis) um 20 Prozent korrigiert. Zwischen dem 4. Dezember 1987 und dem 24. März 2000 ist das nicht geschehen. Mehr als zwölf Jahre währte dieser Aufschwung also. Die aktuelle Börsenrally startete aber erst im März 2009 – es dauert also noch ein Weilchen, bevor wir über die längste Rally aller Zeiten sprechen können.
Natürlich ist die Länge einer Börsenrally kein Maßstab für eine Anlageentscheidung – darf es auch nicht sein. Niemand weiß, wann die Rally ihr Ende findet. Niemand weiß, ob nicht irgendwo ein Schwarzer Schwan daherkommt. Ein Investor sollte stets vorsichtig sein, gewiss, aber auch nicht ängstlich. In einem Umfeld niedriger Zinsen ist es langfristig unseres Erachtens sehr viel riskanter, nicht investiert zu sein.